Moralia VIII

Aus alter Zeit:
• DIE REVOLUTION IN L •
Mai 2005 — März 2007:
• MORALIA I •
April 2007 — April 2010:
• MORALIA II •
April 2010 — August 2012:
• MORALIA III •
August 2012 — Dezember 2013:
• MORALIA IV •
Januar 2014 — November 2015:
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Dezember 2015 — Juni 2017:
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Juli 2017 — Januar 2020:
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Orietur Occidens

Schutz von Ehe und Familie

Mittwoch, 4. März 2020

Das Ende der ehelichen Gemeinschaft

Heute wurde wieder ein Ausländer abgeschoben, der mit einer deutschen Frau verheiratet ist, ebenso wie mindestens sechzehn andere in der vergangenen vier Jahren. Er war wohlintegriert, war in Lohn und Brot und arbeitete zudem ehrenamtlich beim Deutschen Roten Kreuz.
In einem anderen Fall hatte der sächsische Innenminister auf eine Kleine Anfrage geantwortet (30. November 2018, Aktenzeichen 2-1053/42/278): «Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen ist immer dann ausgeschlossen, wenn zwischen den Eheleuten keine familiäre Lebensgemeinschaft im Sinne des § 27 Abs. 1 AufenthG besteht. ... Vielmehr setzt eine nach deutschem Recht geschützte Ehe voraus, dass die Eheleute in einer dauerhaften, durch enge persönliche Verbundenheit und gegenseitigen Beistand geprägten Beziehung ihr Leben gemeinsam gestalten. Diese Verbundenheit dokumentiert sich nach außen regelmäßig in der gemeinsamen Lebensführung und damit ...» Nur: ebendiese Staatsregierung – und das gilt nicht nur in Sachsen, in Bayern etwa ist es ähnlich –, die als Ausweis der «dauerhaften, durch enge persönliche Verbundenheit und gegenseitigen Beistand geprägten Beziehung» eine gemeinsame Lebensführung fordern, macht diese unmöglich durch das ausländerrechtliche Verbot dem Mann gegenüber, zu seiner Frau in ein anderes Bundesland zu ziehen.
Der Mann, der jetzt abgeschoben wurde, lebte in Sachsen, seine Frau in Mannheim; ihre Aussage: «Ich habe tausendmal bei der Ausländerbehörde angerufen und er hat alle möglichen Anträge gestellt, aber wir haben bis heute keine Antwort bekommen. Nichts wurde weitergeleitet.»
«Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung», sagt das Grundgesetz (Art. 6 (1)), und: «Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht» (Art. 1 (3)). Hier haben sich Verwaltung und Rechtsprechung über dieses Grundrecht hinweggesetzt.
«Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen» (Art. 19 (4) [1]). Diese Ehefrau hat den Rechtsweg nicht offen gefunden; sie muß nun damit rechnen, jahrelang oder gar lebenslang von ihrem Mann getrennt zu sein.
Siehe auch:
Deutsche Beihilfe zur Christenverfolgung
Nachtrag von Freitag, 31. Juli 2020:
Die Äbtissin des Klosters Maria Frieden in Kirchschletten, M. Mechthild Thürmer OSB, hat einigen Flüchtlingen Kirchenasyl gewährt, so jüngst einer eritreischen Asylbewerberin, die nach Italien „rückgeführt“ werden sollte. Sie lebte bisher hier in Deutschland mit ihrem Mann, der hier als Asylbewerber anerkannt ist, und ihrem gemeinsamen Kind. Durch die „Rückführung“ würde sie von ihrem Mann getrennt, würde ihr Kind von einem der beiden Eltern getrennt.
Dietrich Mittler: Mutter Mechthilds Mission. SZ vom 21. Juli 2020
Die Äbtissin handelt, wie sie sagt, aus ihrem «christlichen Gewissen heraus», fragt aber auch, wie «es hier denn um den im Grundgesetz garantierten Schutz der Familie» steht.
„Empfindliche Freiheitsstrafe“ für Äbtissin? Domradio vom 29. Juli 2020
Deshalb und anderer vergleichbarer Fälle wegen ist sie jetzt angeklagt; ihr drohe eine «empfindlichen Freiheitsstrafe», so das Amtsgericht.

W.H.W

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Corona

Montag, 23. März 2020

Die Dilemmata bei den Schutzmaßnahmen

Seit diesem Montag gilt in Deutschland ein Neun-Punkte-Plan der Bundesregierung gegen die Corona-Ausbreitung. Das bedeutet Kontaktverbote und Ausgangsbeschränkungen, nachdem es zuvor schon eindringliche Warnungen, besorgte Erwartungen und Ankündigungen gegeben hat (so habe ich schon zuvor einen dann gar nicht notwendigen Passierschein erhalten).
Insgesamt sind diese Beschränkungen so gemäßigt, daß es nicht angemessen erscheint, ihnen insgesamt zu widersprechen. Einige Schwächen fallen auf. Menschen sollen möglichst ihre Wohnung nicht verlassen. Aber was ist mit Wohnungslosen?
Andere Schwächen aber werden durch die gängige Auslegung abgemildert. So dürfen Kirchen offen bleiben; daß öffentliche Gottesdienste nicht stattfinden dürfen, ist sehr schmerzlich, aber der Blick auf die Ausbreitung der Infektion bei den Haredim in Israel warnt davor, diese Vorschrift abzulehnen. Sterbende dürfen besucht werden; damit ist auch der Versehgang des Priesters, der ihnen die Sterbesakramente bringt, gesichert.
Doch es gibt auch Dilemmata. Die Immunabwehr, die Anfälligkeit für Infektionen also ebenso wie die Selbstheilungskräfte des Körpers nach einer Infektion (und medizinische Heilung gibt es für Viruserkrankungen nicht), ist sehr stark von psychischen Faktoren abhängig. Schon die Angst vor Infektion schwächt die Immunabwehr beträchtlich. Was den Menschen psychisch stärkt, ist besonders Kontakt mit anderen Menschen; und gerade für schwerkranke und hinfällige Menschen sind körperliche Berührungen besonders wichtig.
Die Angst vor Corona-Infektionen hat sich durch die Medien schon ausgebreitet, bevor die Krankheit hierzulande aufgetreten ist; und Schutzmaßnahmen können die Angst reduzieren. Doch ebendiese Schutzmaßnahmen steigern auch die Aufmerksamkeit für dieses Thema und verstärken somit auch die Angst. Und durch Kontaktverbote wird all denen, die nicht glücklich im Kreise ihrer Familie wohnen, eine wichtige Grundlage für ihr Wohlbefinden genommen.
Verheerend aber ist es für Menschen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Sie können ihr Leben oft viel weniger als andere mit Lektüre füllen und zumeist Kontakte viel weniger durch technische Medien gestalten. Sie aber sind, örtlich verschieden, viel mehr von Kontaktbeschränkungen bis zum völligen Besuchsverbot betroffen.
Ich mußte einstmals erleben, wie eine Frau von etwas über achtzig Jahren, körperlich und geistig rege, mit einer schweren akuten körperlichen Erkrankung ins Krankenhaus kam. Sie erholte sich dort sehr gut; aber nach einiger Zeit wurde sie von einigen Infektionen getroffen, die damals durch das Krankenhaus gingen. Schließlich kam sie für eine Woche auf die Isolierstation. Ich konnte sie dort zwar besuchen, aber nur mit vollständiger Schutzkleidung, die jeweils vollständig ausgewechselt werden mußte, wenn ich auch nur einmal in einen anderen Raum gegangen war. Sie wurde körperlich wieder gesund; aber psychisch hat sie sich nie mehr von der Belastung durch diese Woche erholt.
«Isolierfolter» wurde es vor einigen Jahrzehnten genannt, wenn Terroristen ihre Strafe unter entsprechenden Bedingungen zu verbüßen hatten. Was jetzt hinfällige alte und schwerkranke Menschen in Kliniken und Heimen erleben, denen das Recht, ihre Angehörigen zu sehen, nur noch zugestanden wird, wenn sie im Sterben liegen, könnte mit mehr Recht so genannt werden. Es ist ein Dilemma – ich weiß nicht, wie man es auflösen könnte; die Beschränkungen haben auch Sinn. Doch es ist nicht zu bezweifeln, daß Ursache der hohen Todesraten in manchen solcher Einrichtungen nicht nur das Virus ist, sondern auch die Isolation.

W.H.W

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Orietur Occidens

Sozialbindung des Eigentums

Mittwoch, 25. März 2020

Wer trägt die wirtschaftlichen Lasten der Krise?

Durch die Coronakrise brechen die Einkünfte vieler Gewerbetreibender weg. Nun hat der Bundestag sinnvolle Maßnahmen besonders auch zugunsten kleiner Gewerbetreibender beschlossen; so werden ihnen nun, wenn sie durch die Krise in Zahlungsschwierigkeiten geraten, Miete und Kreditraten für drei Monate gestundet.
Doch das wird nicht reichen: ein Autohaus mag die Autos, die es der Krise wegen jetzt nicht verkaufen kann, danach verkaufen; Gaststätten etwa haben eine solche Möglichkeit nicht. Die gestundete Miete, die gestundeten Kreditzahlungen dann nachzuzahlen würde ihnen nicht möglich sein oder ihnen zumindest schweren finanziellen Schaden zufügen.
Ladenmieten und Gründungskredite sind legitimerweise darin begründet, daß sie dem Betrieb der Gaststätte, des Geschäfts dienen, so daß sie aus deren Einkünften bezahlt werden können. Wenn dieser Betrieb ohne Schuld des Gewerbetreibenden nicht möglich ist, so verlieren sie ihre Begründung und ihre materielle Grundlage. So fordert es die Gerechtigkeit, sie für solch eine Zeit zu erlassen. Und natürlich steht gegebenenfalls auch Kleinvermietern, die auf diese Weise in Not geraten, solidarischer Einkommensersatz zu.
Am Rande bemerkt: wenn durch Forderungen von Kreditgebern Gewerbetreibende in den Konkurs getrieben werden, so kann der Kreditgeber auch keinen Schadensersatz erwarten.
Natürlich mag man sich vorstellen, daß der Staat allen alle Ausfälle erstattete. Doch realistisch ist das nicht: die finanziellen Möglichkeiten, die wirtschaftlichen Einschnitte durch eine Krise zügig wieder auszugleichen, hat auch der Staat nicht. So müssen die Verluste gerecht und gleichmäßig getragen werden, ohne daß die Eigentümer, auch dann, wenn sie, wie so oft, viel wohlhabender sind als die Mieter oder Kreditnehmer, bevorzugt werden. Das Grundgesetz gibt dazu den Weg frei: «Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.» (Art. 14 (2)) Und: Sein «Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.» (Art. 14 (1)).
Nachtrag von Donnerstag, 2. April 2020:
Auf weitere durch die Einschränkungen schwer Benachteiligte macht die angesehene Wirtschaftsautorin Ulrike Herrmann in einem Zeitungsartikel aufmerksam (Geld ist nicht knapp. taz vom 2. April 2020):
«Es wäre gefahrlos möglich, auch Taxifahrern, Kneipenwirten, Soloselbstständigen, Ladenbesitzern oder Künstlern ein Kurzarbeitergeld zu zahlen, das sich an ihren versteuerten Gewinnen orientiert. Die Daten wären in den Finanzämtern abrufbar. Stattdessen muss jeder Einzelne einen Antrag auf Grundsicherung stellen und mehrere Monate in Armut verbringen. Eine gute Idee wäre auch, das Kurzarbeitergeld auf 90 Prozent des Nettolohns anzuheben und auf Minijobber auszuweiten.»
Auch erklärt sie, wieso auch beträchtliche staatliche Kreditaufnahme für solche Zwecke wirtschaftlich unschädlich und sogar nutzbringend ist:
«Wie soll er [der Staat] denn diese vielen Milliarden zurückzahlen?! Die Antwort ist simpel: Die Kredite werden nicht getilgt, sondern verlieren an Bedeutung. Sie finanzieren sich selbst, indem sie das Wachstum anschieben.
Anders ausgedrückt: In einer Krise entstehen die Schulden sowieso, aber es ist deutlich effektiver, sie am Anfang aufzunehmen. Sollten die Bundesregierung weiterhin knausern und Millionen Bundesbürger ihr Einkommen verlieren, dann fehlt das Geld, um wieder zu konsumieren, wenn die Kontaktsperren beendet sind. Das Virus wäre eingedämmt, aber die Coronakrise würde weiterschwelen. Wenn der Staat hingegen jetzt die Einkommen stützt, würde es sofort aufwärts gehen, sobald die Fast-Quarantäne vorbei ist.»

W.H.W

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Eigentum

Donnerstag, 23. April 2020

Sind Steuern Diebstahl?

Der Anlaß zu dieser Darlegung: «Hier mal eine ganz radikale Idee zur finanziellen Bewältigung der Krise», der Krise nämlich durch die wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie, twitteterte vor kurzem Benjamin Bauer, und er schlug eine Einmal-Vermögenssteuer für Deutschlands Reichste vor in Höhe von 40 % bei einem Vermögen über 20 Millionen, 30 % bei einem solchen über 10 Millionen, 20 % bei einem über 4¾ Millionen € vor. Zwei Tage danach antwortete Dr. Johannes Hartl: «Dieser Tweet hat 5000+ Likes. Das Problem: wer definiert, wann der andere reich genug ist, dass man ihm sein Eigentum wegnehmen darf? Unter Lenin reichte es, 2 Kühe zu haben, um als Kulak erschossen zu werden. „Du sollst nicht stehlen“ bleibt das wichtigste Argument gegen sowas.» Das hieße, daß Steuern (vielleicht meint er: Steuern über den biblischen Zehnten hinaus) Diebstahl seien und wer immer sie fordert, mit seinem Denken auf dem Weg zum Bolschewismus sei.
 Nun kann man ihm leichthin den Kommentar des Herrn zur Steuerfrage entgegenhalten: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist“ (Matth. 22,21). Oder das Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht (Matth. 18,23-35): nach der wirtschaftsliberalen Eigentumsideologie hätte der unbarmherzige Knecht ein unanfechtbares Recht auf das, was sein Mitknecht ihm schuldet; und sein Herr könnte nicht nachträglich die schon erlassenen Schulden wieder eingefordern.
 Doch ein Gegeneinanderstellen von Bibelstellen ist noch keine Theologie (und Johannes Hartl gibt in seinem Twitter-Profil ausdrücklich „Theologie“ an). So steht ein Blick auf die wirkliche Theologie an.
In der IIa IIæ der Summa Theologica widmet der heilige Thomas den 2. Artikel der Quæstio 66 der Frage (als hätte er Pierre-Joseph Proudhons Satz «Eigentum ist Diebstahl» vorhergesehen), «ob es jemandem erlaubt sei, irgendeine Sache gleichsam als sein eigen zu besitzen».
Seine Ausführungen sind sehr differenziert. Unter „Respondeo“ steht, daß bezogen auf eine äußere Sache zweierlei dem Menschen zukommt: einerseits die Macht, für sie zu sorgen und sie zu verteilen, andererseits ihr Gebrauch. Und nur in ersterer Hinsicht ist es erlaubt, daß der Mensch etwas zu eigen besitzt; in letzterer muß er sie nicht als eigen, sondern als gemeinsam halten.
Und unter „Ad primum“ steht, daß dem Naturrecht nach es keine Unterscheidung des Besitzes gibt, sondern nach menschlicher Vereinbarung, was zum positiven Recht gehört. Das positive Recht aber hat sich, da «das letzte Ziel des menschlichen Lebens das Glücklichsein oder die Seligkeit» ist, «am meisten auszurichten an der Ordnung, die in der Seligkeit [begründet] ist» (Ia IIæ q. 90 a. 2 unter „Respondeo“) – und damit ist für die weltliche Ordnung «felicitas vel beatitudo», nicht etwa nur die ewige Seligkeit gemeint. «Et ideo omnis lex ad bonum commune ordinatur» – dieses Recht hat also der Staat auf das Gemeinwohl hin zu ordnen.
Schon der übermäßige Anstieg der Mieten in den letzten Jahren zeigte, daß die gegenwärtig verbreitete Rechtsauffassung, daß das Recht auf Eigentum gleichsam ein Recht über den Grundrechten sei und nicht etwa sozialgebunden, keineswegs dem Glücklichsein dient. Doch diese Rechtsauffassung führt dazu, daß der Staat in Zeiten der Corona-Krise eher bereit ist, in das Privatleben einzugreifen und in die wirtschaftliche Freiheit von Gewerbetreibenden und Künstlern – und bisher nicht deren Sorge wirtschaftlichen Ruins recht ausgeräumt hat – als in Eigentumsrechte (s. o.).
In den letzten Jahrzehnten ist es zu einer Unmenge von Privatisierungen öffentlicher Einrichtungen und Unternehmen gekommen. Nun zeigt sich, daß gerade da, wo im Gesundheitssystem besonders viel privatisiert wurde – in Spanien in der Region Madrid, in Italien in der Lombardei, in Südamerika in Ecuador – die Folgen der Pandemie am schlimmsten sind, mit je einer besonders großen Zahl von Toten; selbst die FAZ stellt fest, daß die «Privatisierungen der großen Wirtschaftskrise vor gut einem Jahrzehnt ... möglicherweise schon fatale Folgen auf die Krisenressourcen» zeitigen.
In der Region Madrid und in der Lombardei sind „konservative“, in Wirklichkeit wirtschaftsliberale Regionalregierungen, des Partido Popular und der Lega, für die Privatisierungen verantwortlich. In Ecuador war Forderungen des IWF mitbestimmend, die auch veranlaßten, die Zahl der Staatsangestellten stark zu reduzieren, was nicht zuletzt das Gesundheitssystem traf.
Bereits vor mehr als einem halben Jahrhundert hatte der große US-Ökonom John Kenneth Galbraith als zentrales Problem unserer Zeit öffentliche Armut bei privatem Reichtum benannt. Läßt man die Folgen der Privatisierungspolitik uneingeschränkt fortbestehen, so steht das der wesentlichen Aufgabe des positiven Rechts entgegen.

W.H.W

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Orietur Occidens

„Obamacare“

Donnerstag, 9. Juli 2020

Verkehrte Welt

Wie üble Politik der gegenwärtige US-Präsident betreibt, das geht durch die Medien, dem braucht nichts hinzugefügt zu werden. Und nun finde ich „une lettre de l’éditeur“ des „Salon Beige“, Guillaume de Thieulloy:
« Tout d’abord, après un feuilleton judiciaire interminable, les Petites Sœurs des Pauvres ont enfin obtenu gain de cause devant la Cour suprême au sujet de l’Obamacare. Vous savez sans doute que cette loi imposait notamment aux congrégations religieuses (si importantes dans le domaine de la santé) de fournir contraception (et même avortement chimique) à leurs patients, causant des cas de conscience dramatiques.
Donald Trump avait plusieurs fois reçu les Petites Sœurs des Pauvres qui étaient devenues le symbole de cette lutte pour la liberté religieuse. Eh bien!, ça y est, elles ont gagné (par 7 voix contre 2) à la Cour suprême. Deo gratias! »
Gern wird Donald Trump sein Vorgänger, Barack Obama, als Lichtgestalt gegenübergestellt nach der einfachen Regel: Wenn der eine schlecht ist, wird der andere, wird sein Gegner doch gut sein.
Und wieder wird diese Regel widerlegt.
Barack Obama hatte eine dringliche Maßnahme ergriffen, um den US-amerikanischen Mangel an öffentlicher Unterstützung für arme Kranke zu beheben. Doch diese soziale Wohltat war vergiftet: selbst christliche Institute – die auch in den USA eine bedeutende Rolle im Gesundheitswesen spielen – wurden verpflichtet, Kontrazeptiva und sogar chemische Abtreibungsmittel zur Verfügung zu stellen. Die Petites Sœurs des pauvres haben dagegen vor dem Obersten Gerichtshof der USA geklagt und gewonnen, « Deo gratias! » Das nun gab Donald Trump die peinliche Gelegenheit, sich als Verbündeter der Christen darzustellen – dennoch aber darf man sich über den Erfolg der Schwestern freuen.
Die peinliche Gelegenheit: Donald Trump hat eben nicht nur und nicht vor allem das gute Anliegen der Schwestern befürwortet, sondern sich darangemacht, teilweise schon erfolgreich, auch die guten und notwendigen Errungenschaften der „Obamacare“ wieder abzubauen.
Über ihn braucht, wie gesagt, angesichts der Nachrichtenfülle nichts hinzugefügt zu werden; zu Barack Obama ist daran zu erinnern, daß er nicht nur die Abtreibung begünstigte, sondern auch – was dazu gut paßt – «erheblich mehr gezielte Tötungen befohlen [hat] als sein Amtsvorgänger» (Franz Feyder: Drohnen vollstrecken Obamas Todesurteile. Stuttgarter Nachrichten vom 25.11.2013). Zudem hat er TTIP vorangetrieben.
Die christliche Antwort gibt der Psalmist: « Nolite confidere in principibus, in filiis hominum, in quibus non est salus » (Ps. 145, 2. 3).

W.H.W

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„Containern“

Dienstag, 18. August 2020

.. damit nichts zugrundegehe

«Sammelt die übriggebliebenen Bröckchen, damit nichts zugrundegehe» (Joh. 6, 12).
Zwei Frauen waren wegen Diebstahls verurteilt worden, weil sie „containert“ hatten, noch genießbare Lebensmittel aus dem Müll eines Supermarktes geholt hatten. Sie haben Berufung eingelegt und sind schließlich vors Bundesverfassungsgericht gegangen; das hat nun das Urteil bestätigt (Az. 2 BvR 1985/19).
Doch dem Bundesverfassungsgericht war offenbar unwohl dabei: es hat gleichzeitig eine politische Entscheidung angemahnt („Containern“ kann strafbar sein. tagesschau.de vom 18.08.2020). Doch im Sommer 2019 war auf der Justizministerkonferenz der Länder bereits eine Initiative gescheitert, es straffrei zu stellen.
Moralisch ist die Sache für Christen zumindest klar: das Handeln der Frauen entspricht der Aufforderung des Herrn, nichts an Nahrungsmitteln zugrunde gehen zu lassen.
Aber auch rechtlich erscheint das Urteil fragwürdig: laut § 242 (1) StGB Diebstahl, wer «eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen». Der Supermarkt aber hatte die Sache bereits selber weggegeben, dem Müll übergeben, wollte sie weder mehr nutzen noch für irgendwen aufbewahren.
Das BGB (§ 226) spricht ein Schikaneverbot aus: «Die Ausübung eines Rechts ist unzulässig, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen.» Selber Nutzen ziehen aus den Lebensmitteln wollte der Supermarkt nicht mehr – dem Schaden, der Strafe für die angeklagten Frauen steht kein Nutzen für den Kläger gegenüber.
Kein Nutzen jedenfalls, der vor dem Grundgesetz mit seinem Gebot der Sozialbindung des Eigentums (Art. 14 (2)) bestehen könnte.
Aus einem Kommentar (Christian Rath: Containern ist nicht die Lösung. taz vom 18. 8. 2020): «Die Lösung ... ist ein Gesetz, wie es in Frankreich bereits existiert. Dort dürfen größere Supermärkte nutzbare Lebensmittel seit 2016 nicht mehr wegwerfen. Unverkaufte Ware muss entweder gespendet, als Tiernahrung genutzt oder als Kompost verwendet werden. Supermärkte sollen Vereinbarungen mit karitativen Organisationen zur Abnahme von unverkauften Lebensmitteln abschließen.»

W.H.W

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Migranten

Mittwoch, 26. August 2020

Nachricht und Wirklichkeit

Was ist geschehen?

Einige Jugendliche haben eine Gruppe junger Frauen belästigt, doch, so berichtet es eine dieser Frauen, ohne Gewalt und ohne vulgär zu werden. Ein anderer junger Mann, Augustin, siebzehn Jahre alt, mischt sich ein, um den Frauen beizustehen. Es kommt zu einem Wortwechsel mit gegenseitigen Beleidigungen. Als sich die Situation schließlich schon beruhigt zu haben scheint, versetzt plötzlich einer der Jugendlichen Augustin einen Faustschlag; der fällt zu Boden. Eine der Frauen, die, die auch darüber berichtet hat, fährt darauf den Angreifer heftig an; der reagiert gereizt, doch seine Kumpanen halten ihn zurück und entfernen sich mit ihm.
Augustin hat üble Verletzungen davongetragen, einen Kieferbruch erlitten, zwei Zähne verloren; die Halswirbelsäule hat gelitten.
Quellen sind die Aussagen einer der jungen Frauen und von Zeugen, ein (schlecht gefilmtes) Video.
• Que s’est-il vraiment passé vendredi soir au niveau de la place Bellecour à Lyon ? LYONMAG.com, 25-08-2020
• Que s’est-il réellement passé vendredi soir sur la place Bellecour à Lyon ? LYONMAG.com, 26-08-2020
Ein unentschuldbares Gewaltverbrechen; was auch immer (etwa von der Groupe Antifa Lyon) über Augustin berichtet wird, macht die Sache um nichts besser.
Doch:

Was wird weitergegeben?

Ein anglophoner Billy schreibt auf Twitter mit dem „Hashtag“ JusticePourAugustin (Gerechtigkeit für Augustin) und Tausenden von „Retweets“ und Herzen:
«17-Jahre-alter Augustin wurde brutal geschlagen von 5 Migranten, als er sie davon abhielt, 2 französische Mädchen in Lyon zu vergewaltigen. Die Mädchen vermochten aus dem Griff der Migranten zu entkommen dank Augustins Wagemut. Er kämpft gegenwärtig um sein Leben in einem Hospital.»
Eine tendenziöse Art „stiller Post“ oder bewußte Verleumdung gegen «Migranten»?

W.H.W

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Abtreibung

Mittwoch, 26. August 2020

Weniger Praxen bieten Abbrüche an – warum?

So klagt und fragt ein öffentlich-rechtliches Medium. Daß für dieses Angebot die «Zahlen bei Praxen und Klinken rückläufig» sind, führt die Autorin des Beitrags darauf zurück, daß «Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten», «bis heutzutage viel Hass auf sich» ziehen. «Hinzu kommen Morddrohungen, Mahnwachen vor Praxen, Hassbotschaften.» Ins gleiche Horn stieß im Vorjahr der damalige Präsident der Bundesärztekammer: er nannte «den zunehmenden Druck militanter Abtreibungsgegner als einen Grund dafür, dass immer weniger Ärzte zu Abtreibungen bereit seien.»
«Das alles, weil die Gynäkologinnen und Gynäkologen Frauen in Not helfen», kommentiert das die Autorin – wohlgemerkt: es ist ein öffentlich-rechtliches Medium, in dem sie so etwas schreiben darf.
Ich habe einen sehr anderen Eindruck: ich war bei verschiedenen Treffen von Lebensschützern; dort habe ich Schmerz erlebt, aber niemals Haß.
Dieser Grund erklärt wenig; Lebensschützer sind eine nur kleine Minderheit im Strom der öffentlichen und der veröffentlichten Meinung; und Gewalt haben abtreibungsbereite Ärzte offensichtlich (Gott sei Dank!) nicht zu fürchten (vielmehr wollen etliche den § 219a StGB – Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft – abgeschafft wissen).
Als einen weiteren Grund führt die Autorin (noch einmal: es ist ein öffentlich-rechtliches Medium, in dem sie so etwas schreiben darf) «die gesetzliche Stigmatisierung des Eingriffs» an: «Nach deutschem Recht ist ein Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig, der bestraft wird, sofern er nicht ...» Daß diese Rechtswidrigkeit in den Grundrechten des Grundgesetzes (Art. 2 (2)) begründet ist, die in keinem Falle in ihrem «Wesensgehalt angetastet werden» dürfen (Art. 19 (2)), die das Bundesverfassungsgericht nicht ganz beiseite schieben konnte, als es Abtreibungen zuließ, erwähnt sie nicht.
Es gibt einen ganz anderen Grund: Ärzte, die Abtreibungen vornehmen, sehen, daß das Wesen, das sie abtreiben, ein Mensch ist. Das kann das Gewissen wecken. Und das Praxispersonal hat die Aufgabe, die Stücke des Fötus wieder zusammenzusetzen, um auszuschließen, daß ein Leichenteil im Leib der Mutter zurückbleibt: die Beteiligten sehen, daß es ein Mensch war, sehen, wie er zugerichtet ist. Das beschädigt die Betriebsatmosphäre in der Praxis.

W.H.W

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Belastungsmoratorium für die Wirtschaft

Dienstag, 6. Oktober 2020

Thema verfehlt

Ein „Belastungsmoratorium für die Wirtschaft“ haben Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident und Wirtschaftsminister in den Bundesrat eingebracht: «Unternehmen sollten in der Corona-Krise nicht zusätzlich belastet werden», so der Ministerpräsident.
Das weckt Hoffnung: man meint, für Gewerbetreibende und Freiberufler, die durch die Einschränkungen daran gehindert werden oder stark darin eingeschränkt sind, ihr Gewerbe, ihren Beruf auszuüben, nun den Erlaß von Lokalmieten und Kreditzinsen erwarten zu dürfen oder auch statt dessen staatliche Unterstützung, die diese Kosten voll trägt und den Lebensunterhalt sichert (finanziert vielleicht durch eine Sondersteuer für Krisengewinnler wie den Versandhandel), so daß niemand infolge der Einschränkungen Beruf oder Gewerbe aufgeben oder gar in Konkurs zu gehen braucht.
Nichts dergleichen – statt dessen wolkige Worte, von einer «Entfesselungspolitik» ist die Rede; und konkret vorgeschlagen werden «Abbau „bundesgesetzlicher Bürokratie“ sowie schnellere Planungsverfahren».
Für die Bürger des Landes bleibt wenig: Verlängerung der Höchstdauer von befristeten Arbeitsverträgen auf drei Jahre, Anhebung der Verdienstgrenzen für die Beschäftigung im „Minijob“. Das erhöht für manche die Chance, Arbeit zu finden, ist aber zweischneidig: längere befristete Arbeitsverträge bedeuten auch länger prekäre Beschäftigung, Menschen im „Minijob“ sind bei Kündigungsschutz und Alterssicherung schlechter gestellt.
Sind diese Vorschläge wirklich auf die Corona-Krise zugeschnitten?
Bemerkenswerterweise hat schon im Juni 2019 die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände ein «Belastungsmoratorium» als Gebot der Stunde“ gefordert, lange vor dieser Krise.
Der Ministerpräsident gehört einer Partei an, die sich einstmals durch den Ausbau des Sozialstaats auszeichnete.
Nachtrag von Montag, 25. Januar 2021:
Sozialverbände wie die KAB sind da engagierter als die Landesregierung: «Soforthilfe für die Armen – Jetzt!» heißt es da.

W.H.W

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„Islamistische“ Morde

Montag, Allerseelen 2020

Meinungsfreiheit und Beleidigung

Ein Lehrer wird in einem Pariser Vorort auf offener Straße erstochen, wird enthauptet. Er hatte im Unterricht die berüchtigten Mohammed-Karikaturen gezeigt; zuvor hatte er allen Schülern, die das nicht ertragen könnten, erlaubt, das Klassenzimmer vorher zu verlassen. Trotzdem wurde er daraufhin von einem „Islamisten“, der davon nur gelesen hatte, ermordet. Ein zutiefst verwerfliches Verbrechen: nicht nur, daß Selbstjustiz in einem Rechtsstaat kein Recht hat; darüber hinaus ist „Selbstjustiz“ in aller Regel und so auch hier keine Justiz, sondern willkürliche Rache. Und der Mord machte Mode: es folgten in den nächsten Wochen die „islamistisch“ motivierten Massaker in Nizza und in Wien.
Ein zutiefst verwerfliches Verbrechen – und dennoch bleibt bei der Empörung darüber ein unangenehmer Beigeschmack: das Thema jener Unterrichtsstunde sei Meinungsfreiheit gewesen, heißt es.
Als ich in der Schule war, haben wir politische Gedichte besprochen. Darunter war ein Gedicht, in dem der frühere Bundeskanzler verleumdet wurde: «Adenauer, Adenauer, zeig deine Hand / Um dreißig Silberlinge verkaufst du unser Land» (Bertolt Brecht: Spottlied). Darunter war ein Loblied auf Stalin mit blasphemischem Beiklang: «und Stalins Wille wird geschehn» (Johannes R. Becher: Danksagung); darunter war ein massiv blasphemisches Gedicht mit dem Titel «Deutsche Ostern 1933»: «Hört ihr die Osterglocken / Frohlocken?» (Heinrich Anacker – so der Anfang; die noch folgende sich steigernde Blasphemie zu zitieren erspare ich mir und dem Leser).
Doch das Thema dieser Unterrichtsstunde war nicht „Meinungsfreiheit“, sondern „Mißbrauch der Kunst für politische Zwecke“ – und dadurch war es etwas sehr anderes. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, doch Beleidigungen sind nicht einfach nur Meinungsäußerungen.
Es mag jemand meinen, Mohammed zu beleidigen sei berechtigt; doch es gibt Muslimîn, die an einen friedliebenden Islam glauben. Ich bleibe beim Lob der Grauzone: es liegt mir ferne, diese Muslimîn eines Schlechteren belehren zu wollen.
Die Gewalt der „Islamisten“ ist uneingeschränkt zu verdammen; doch daran, die Friedensliebe friedwillig erscheinender Muslimîn durch Beleidigungen zu erproben, ist nichts Gutes.

W.H.W

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„Westliche Werte“

Mittwoch, 4. November 2020

Abendländische Werte, zu verteidigen gegen falsche Freunde

Da ist die neue neuseeländische Außenministrin. Sie ist eine Maori, trägt der Sitte ihrer Nation entsprechend ein Moko Kauae, eine Tatauierung am Kinn.
Da ist eine neuseeländische Bloggerin. Sie hat auf Twitter geschrieben, Gesichtstatauierungen, «besonders bei einer weiblichen Diplomatin», seien «die Höhe an häßlichem, unzivilisiertem wokedom [etwa: Antirassismus]».
«Häßlich, unzivilisiert» meint sie: Tatauierungen, meistens sehr kunstvoll ausgeführt, sind ein Kulturgut der Maori; sie haben nichts zu schaffen mit den europäischen und angloamerikanischen Tätowierungen XX., den angloamerikanischen und europäischen Tattoos des XXI. Jahrhunderts.
Ihr Twitter-Account ist nicht (oder nicht mehr) allgemein zugänglich, aber der N(ew) Z(ealand) Herald hat diesen Tweet öffentlich gemacht; und sie habe darauf Morddrohungen erhalten.
So weit, so schlimm; und natürlich sind Morddrohungen noch schlimmer als aggressive Dummheit und Ignoranz. Doch das beides ist – leider – Alltag; wäre das alles, wäre es nicht weiter der Rede wert. Aber:
Diese Bloggerin ist Kolumnistin bei INSIGHT, auf dem Site the BFD, einem Blog, der sich selbst «homegrown and independent journalism with a unashamedly conservative viewpoint – unabhängigen Journalismus Hausmacher Art mit einem schamlos konservativen Blickpunkt» zuschreibt [diesen Text habe ich noch kopieren können; zur Zeit aber ist er nicht mehr direkt zugänglich]. Und diese Schreiberin wirft einer Maori vor, daß sie, ganz konservativ, den Sitten ihrer Nation (die in ihrer beider Land autochthon ist) folgt.
Und diese Schreiberin aus dem äußersten Osten (mehr als 170° ö.L.) ist Autorin eines Buches namens «Western Values Defended: a Primer – Westliche Werte verteidigt: eine Fibel». Westlich ist, wie der Name sagt, der Okzident, das Abendland, doch zu dessen Werten gehört es keinesfalls, die Kulturgüter anderer Länder herabzuwürdigen.

Anmerkung zum Begriff „konservativ“

«Omnia autem probate: quod bonum est conservate» – das klingt gut; in diesem Sinne will man gerne konservativ sein. Allerdings: das steht so nicht bei Paulus; dort (I Thess. 5, 21) steht: «quod bonum est tenete.» „Konservativ“ ist kein genuin christlicher Begriff; in der Wortbedeutung „bewahrend“ ist zwar Gutes enthalten, aber seit der Ausbreitung dieses Begriffs im XIX. Jahrhundert von Großbritannien aus sind ihm auch Züge beigegeben, die nicht christlich sind. Ich zitiere die Wikipedia, die das übliche Verständnis des Begriffs zeigt: «Eigentum, auch ungleich verteiltes, und das Recht darauf, ist im Sinne des Konservativen ein wichtiger Eckpfeiler einer funktionierenden Gesellschaftsform» (s.v. Edmund Burke); «die Einheit von bürgerlicher Freiheit und Privateigentum» (s.v. Konservatismus). Nun respektiert das Christentum das Privateigentum, aber es gehört dem positiven Recht an, das der Staat auf das Gemeinwohl hin zu ordnen hat; Solidarität mit den Minderbemittelten hat für Christen höheren Rang als freie Verfügung über großen Besitz. Auf «Eigentum, auch ungleich verteiltes,» zu verzichten empfiehlt das Christentum dem Reichen selbst (Mtth. 19, 21; Mc. 10,21); aber es will es nicht abschaffen, will nicht in sozialistischer Manier alle Reichen enteignen. Doch es zu einem wichtigen «Eckpfeiler einer funktionierenden Gesellschaftsform» zu erheben ist unchristlich. Und wenn «die Einheit von bürgerlicher Freiheit und Privateigentum» postuliert wird, ist zu fragen, wie es da um die bürgerliche Freiheit der Mittellosen bestellt ist.
Zudem: versteht man „konservativ“ als „bewahrend“, so ist das diese Art von Konservatismus nicht – es zeigt sich zur Zeit etwa am Wohnungsmarkt: durch die Marktmacht der Immobilienbesitzer steigen die Mieten so, daß Mieter ihre Wohnung, Gewerbetreibende ihre Werkstatt oder ihr Ladenlokal verlassen müssen, daß sie ihre Umwelt, ihre Nachbarschaft, oft auch ihre Kundschaft oder gar ihr Gewerbe nicht bewahren können.
Ich will bewahren, den Glauben, Werte, Traditionen bewahren; „konservativ“ aber bin ich nicht.

W.H.W

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„Geschlechtergerechte“ oder „geschlechtsinklusive“ Sprache

Samstag, 28. November 2020

• „Generisches Maskulinum“ – gibt es das? •

Nachtrag von Montag, 27. Februar 2021:
Ein Leserbrief (Sebastian Heller, taz vom 27. 2. 2021) moniert einen besonderen Mißgriff bei „geschlechtsinklusivem“ Plural: «Die akrobatische Formulierung „Ministerpräsident*innen“ beschreibt männliche, weibliche oder Transgenderpersonen, die ein ausschließlich männlich besetztes Kabinett von Ministern führen. In Ihrer Logik müsste es also heißen: „Minister*innenpräsident*innen“.»
Zum Abschluß also das Satyrspiel:
Ein Ministerpräsident ist, wie das französische „ministre-président“ erweist, dem Wort nach nicht etwa jemand, der Ministern präsidiert, sondern ein Minister, der (wem auch immer) präsidiert. Darum ist seine weibliche Entsprechung eine „ministre-présidente“, auf Deutsch also eine Ministrinpräsident (oder etwa „-präsidente“? Jedenfalls: die feminine Form von „minister“ ist „ministra“, darum muß es im Deutschen „Ministrin“ heißen, ohne „e“), für Anhänger der Binnen-I-Unterstrich-Sternchen-Kultur im Plural also „Ministr*innenpräsidenten“ (oder „Minister*innenpräsidenten“ mit „e“ zur Inklusion männlicher Minister?).
Die Anhänger der Klammeraffen-Kultur hätten es einfacher: sie könnten einfach „ministr@s-presidentes“ schreiben – aber in deren Ländern gibt es diesen Titel nicht.

W.H.W

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Haftungsrecht

Freitag, 11. Dezember 2020

Es geht nicht darum, Schaden zu vermeiden

Zwei Ereignisse:

– vor längerer Zeit:

Die Straßenbahngleise liegen mitten auf der Fahrbahn. Die Straßenbahn ist schon über die Haltestelle hinaus einige Meter vorgezogen zur Ampel. So kann ich sie noch erreichen, aber ich werde nicht mehr hineingelassen, obwohl es noch vor der Abfahrtszeit ist. Ich will mich beschweren, bekomme aber darauf zu hören: (1.) Der Rechtsprechung nach dürfen Straßenbahnen und Busse schon drei Minuten vor der Zeit abfahren. (2.) Wenn sie erst einmal vorgezogen ist bis zur Ampel, darf sie keine Passagiere mehr hereinlassen, weil, wenn ein Passagier dann noch über die Straße liefe, um die Bahn noch zu erreichen, und dabei von einem Auto erfaßt würde, der Bahnfahrer dafür verantwortlich wäre, da er den Einstieg noch ermöglicht hat.
Nun ist die Gefahr sicher größer, daß Passagiere zu Schaden kommen, weil sie auf der Straße stehen und nicht mehr hereingelassen werden; aber das liegt eben nicht in der Verantwortung des Bahnfahrers.

– ganz aktuell:

Luftfiltergeräte sind eine wichtige Hilfe, den Schulunterricht in Zeiten von Corona sicherer zu machen, ihn auch im Winter zu ermöglichen, ohne daß die Fenster ständig geöffnet sind. «„Und es gibt einige Kinder aus Risikogruppen in dieser Klasse“». Die Schulbehörde bereitet das vor: «Wenn alles glattläuft, könnten tatsächlich die ersten Geräte bereits im Januar [!] in Schulen mit schlecht oder gar nicht öffnenden Fenstern ankommen.»
Aus zwei Berliner Schulen wird berichtet, daß Eltern auf eigene Kosten solche Geräte für die Klassen beschafft haben, die nun längst bereitstehen, im einen Fall zumindest seit Oktober [!]. «Allerdings müsse der Schulträger die Geräte „aus Gründen des Haftungsrechts“ abnehmen», und dazu müsse «„der Dienstweg“ eingehalten werden» – und das dauert.
Nähme ein Schüler aus wenn auch noch so unwahrscheinlichen, unerfindlichen Gründen Schaden durch die Luftfilter, müßte die Schule haften. Kommen dagegen Schüler durch eine Corona-Infektion zu Schaden, so trägt die Schule keine Verantwortung.
Es geht im bundesdeutschen Haftungsrecht nicht darum, Schaden zu vermeiden, sondern darum, nicht verantwortlich zu sein.
Das heißt nicht, daß man mit Nichtstun immer auf der sicheren Seite wäre: eine Hebamme wurde – wir haben darüber berichtet – zu einem unermeßlichen Schadensersatz verurteilt, weil sie nicht gehandelt hatte, wenn auch ihr Handeln wahrscheinlich nichts geändert hätte. Aber da war die Gegenseite juristisch besser gewappnet.

W.H.W

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Sozialstaat

Donnerstag, 15. April 2021

Der Mietendeckel

«Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat» (GG Art. 20 (1)).
Da diesem Auftrag des Grundgesetzes, ein sozialer Staat zu sein, der Bund im Blick auf die maßlos steigenden Mieten mit der Mietpreisbremse von 2015 nur unzureichend nachgekommen ist, meinte das Land Berlin, diese Aufgabe nun in die eigene Hand nehmen zu müssen; dazu hat es mit dem Mietendeckel von 2020 einen Schritt getan. Doch jetzt hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß, da der Bund durch jene Mietpreisbremse hier bereits regelnd eingegriffen habe, die Gesetzgebungsbefugnis in diesem Bereich nun ausschließlich bei ihm liege (gemäß GG Art. 72 (1)).
Dieser Beschluß betrifft nicht den Inhalt des Gesetzes, er gilt ungeachtet der Tatsache, daß viel mehr als die Mietpreisbremse sich der Mietendeckel bereits als wirksam erwiesen hat (→ Mietendeckel zeigt Wirkung), er also viel mehr als die Mietpreisbremse den Auftrag des Grundgesetzes erfüllt.
Trotz allem aktuellen Schaden, den dieses Urteil verursacht: es hat Sinn, solche Gesetzgebung dem Bund zu überantworten: überhöhte Mieten gibt es keineswegs nur in Berlin, sondern sie haben sich weit übers Bundesgebiet ausgebreitet.
Also tut es not, entsprechende Gesetze im Bund durchzusetzen. Daß AFDP und Eigentümerverband gegen den Mietendeckel agitieren und rechtliche Schritte eingeleitet haben, verwundert nicht. Daß sich aber eine Partei an der Klage beteiligt hat, die das Wort „christlich“ im Namen führt, sie aber nicht geneigt scheint, im Bundestag entsprechende Gesetze einzubringen, ist für den Christen schmerzlich.
Besonders enthüllend ist der Kommentar des Bundeswirtschaftsministers, der dieser Partei angehört: «es sei der Eindruck entstanden, „dass mit diesem Mietendeckel der Staat immer mehr und immer stärker in die privatwirtschaftliche Gestaltungsfreiheit eingreift“. Deswegen sei es „ganz wichtig“, dass er verworfen worden sei» (Pascal Beucker: Jetzt ist der Ball beim Bund. taz vom 15. 4. 2021).
Daß «der Staat immer mehr und immer stärker in die privatwirtschaftliche Gestaltungsfreiheit eingreift», heißt, daß der Staat private Rechtssetzung durch Verträge immer mehr durch Rechtssetzung durch den Gesetzgeber ersetzt. Ebendas aber ist dort, wo ungerechte Verträge aufgenötigt werden, die Aufgabe des Gesetzgebers: Private Verträge sind ein berechtigter und sogar notwendiger Teil des Rechtssystems, solange sie auf Vereinbarung beruhen oder zumindest den Bedürfnissen und Anliegen beider Seiten gerecht werden. Wo aber Verträge durch die wirtschaftliche Macht einer Seite diktiert werden und die Interessen der anderen mißachten, da ist es die Aufgabe des Gesetzgebers, Recht im Sinne des Gemeinwohls zu setzen und der „Gestaltungsfreiheit“ durch wirtschaftliche Macht auf Kosten des Minderbemittelten Grenzen zu setzen.
Siehe auch:
Gerechtigkeit (E&Ewald 7 (2002), S. 2-16): «Ein Gegenprinzip zur æquitas ist der Vertrag.»
Es ist bemerkenswert, daß die Parteien, die sich vehement gegen jede Steuererhöhung wenden oder gar Steuern senken wollen (und dabei selten die Mehrwertsteuer meinen), sich durchaus nicht gegen die Erhöhung der Mieten wenden, geschweige denn, daß sie sie senken wollten; daß sie keinerlei Augenmerk der Tatsache schenken, daß Menschen, bei denen es wirklich auf etwas mehr oder weniger Geld ankommt, kaum Steuern zu zahlen brauchen (von der Mehrwertsteuer abgesehen), wohl aber überhöhte Mieten.
Siehe auch:
Das Grundgesetz:
 «Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.»
(Art. 14 (2))
 «Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.» (Art. 14 (1))
Der heilige Thomas:
 «Utrum licitum sit quod aliquis rem aliquam possideat quasi propriam»
(S. Th. IIa IIæ, Quæstio 66, Art. 2; deutsche Zusammenfassung: Eigentum)

W.H.W

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Der Bamf-Skandal

Donnerstag, 15. April 2021

Strafjustiz in der Bundesrepublik Deutschland

«Knapp 79 000 Entscheidungen über Asylanträge fällte das Bamf im ersten Halbjahr 2020. Mehr als 47 000 dieser Entscheidungen fielen negativ aus. Davon wurden rund 74 Prozent gerichtlich angefochten. Gerichte trafen zu Bamf-Bescheiden in dieser Zeit 63 309 Entscheidungen: Sie bestätigten 22 860 und korrigierten 9644 beklagte Entscheidungen des Bamf. ...» (FR) Das heißt: Mehr als 12% der Entscheidungen, etwa 20% der Ablehnungen waren rechtlich falsch.
Drei Jahre zuvor lag der Anteil falscher Entscheidungen noch höher: «Insgesamt werden 91 Prozent der abgelehnten Asyl-Bescheide vor Gericht angefochten.» «In durchschnittlich gut 40 Prozent der Fälle, in denen im vergangenen Jahr Verwaltungsgerichte über Asylklagen inhaltlich entschieden, wurde der ablehnende Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zugunsten der Flüchtlinge korrigiert.» (SZ) Demnach waren mehr als 36% der Ablehnungen rechtlich falsch.
Eine rühmliche Ausnahme bildete die Bremer Außenstelle des Bamf: die dort getroffenen Entscheidungen waren fast alle rechtens (SZ, Wikipedia).
Die Konsequenz: die damalige Leiterin dieser Außenstelle wurde wegen dieser Entscheidungen und einiger anderer angeblicher Vergehen, deren Gehalt leicht zu widerlegen war, angeklagt. Nachdem sich schon mehr oder weniger ein Freispruch abzeichnete, hat diese Frau resigniert – ein jahrelanger Strafprozeß ist eine enorme Belastung – und die Einstellung des Prozesses gegen ein hohes Bußgeld akzeptiert (FAZ).

W.H.W

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Schutz von Ehe und Familie

Montag, 25. April 2022

Die türkische Regierung entscheidet – deutsche Ämter leisten ihr Folge

Die Frage, wie der Staat mit Zuwanderern umzugehen hat, ist komplex; eine einfache erschöpfende Antwort kann die christliche Moral nicht geben (siehe auch: Was ist eigentlich abendländisch? Was uns unterscheidet von .../ 2. Der christliche Glaube. E&E 22 (2017), S.48 f.).
Doch einige Vorgaben gehen aus Naturrecht und christlicher Moral hervor:
Klar ist, daß Christen nicht in Länder abgeschoben werden dürfen, in denen Christen verfolgt werden.
Klar ist auch, daß, wo nicht Gewalttaten oder sonstige Verbrechen dazu Anlaß geben, Familien nicht getrennt werden dürfen.
Klar ist darüber hinaus, daß in Staaten, die jegliche Opposition kriminalisieren, Oppositionelle, die keine wirkliche Schuld auf sich geladen haben, nicht abgeschoben werden dürfen. Dies gilt nicht nur für offene Diktaturen wie Nordkorea, China und Vietnam, sondern ebenso für demokratisch dekorierte Diktaturen wie Rußland, Weißrußland und die Türkei.
Gerade hat ein türkisches Gericht einen Mann, Osman Kavala, zu lebenslanger Haft unter erschwerten Bedingungen verurteilt, dem außer der Unterstützung friedlicher Demonstrationen nichts vorzuwerfen ist, so daß schon zuvor der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Türkei verpflichtet hatte, ihn freizulassen.
Ein Kurde türkischer Staatsangehörigkeit, Murat Akgül, ist mit fünf Jahren nach Deutschland gekommen, lebte hier schon unbescholten seit dreißig Jahren; hier hat er seine Familie, seine Frau und vier Kinder im Alter von einem bis zu dreizehn Jahren, an seinem Arbeitsplatz wird er geschätzt.
Claudine Stauber: Nach 30 Jahren in Nürnberg: Familienvater in Türkei abgeschoben. nordbayern.de, 7.8.2019
— Mai 2019
Bei einer Demonstration trägt er die Fahne der YPG. Die YPG ist eine Miliz, die dazu beigetragen hat, den kurdisch dominierten Teil Syriens vom IS zu befreien, und nun im Rahmen der sogenannten „Demokratischen Kräfte Syriens“ diesen Teil Syriens, Rojava, mitregiert und verteidigt. Nun läßt sich diesen „Demokratischen Kräften Syriens“ durchaus einiges nachsagen; doch gegenüber dem IS, der terroristisch immer noch präsent ist, sowie gegenüber dem türkischen Regime, das benachbarte Gebiete in seiner Gewalt hält, und gegenüber der Geheimpolizei des syrischen Staates erscheint die YPG mit ihren Verbündeten als die annehmbarste Kraft in diesem Gebiet. Deshalb wird sich auch von den USA und Frankreich militärisch unterstützt.
Das türkische Regime allerdings, das alle Spuren kurdischer Eigenständigkeit rigoros bekämpft, sagt der YPG Verbindung mit der PKK nach und bezeichnet deshalb die YPG, die in Wirklichkeit völlig eigenständig ist, ebenfalls als terroristisch.
Weil nun das türkische Regime die YPG so einstuft, wurde Murat Akgül von der Bundesrepublik, obwohl die YPG hierzulande legal ist, in die Türkei abgeschoben.
— August 2019
Dort gelang es ihm, da er bei den Sicherheitskräften des Regimes noch nicht auffällig geworden war, durch falsche Angaben einer Verhaftung zu entgehen. Es gelang ihm dann mit großem Aufwand und großer Mühe die Flucht zurück nach Deutschland.
Doch bei seiner Abschiebung war ihm seine Niederlassungserlaubnis entzogen worden; statt dessen war ihm ein zehnjähriges Einreiseverbot auferlegt worden, so daß bei seiner Rückkehr deswegen zunächst ein Strafverfahren eingeleitet wurde. Zu seiner Familie zurückkehren durfte er nicht, ebensowenig an seinen alten Arbeitsplatz, der für ihn freigehalten wurde. Ihm blieb nur, Asyl zu beantragen.
— April 2022
Und ihm droht neuerliche Abschiebung. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat seinen Asylantrag im November 2020 als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Das Verwaltungsgericht Augsburg hat daraufhin zwar das „offensichtlich“ zurückgewiesen, nicht aber die Ablehnung des Asylantrags selbst. Er habe, so das Gericht, nicht glaubhaft machen können, daß ihm «mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Verfolgung droht».
Es ist absurd, und sein Anwalt weist darauf hin: in Deutschland war ein Zeichen der Solidarität mit einer hierzulande legalen kurdischen Organisation Anlaß für eine Abschiebung; in der Türkei aber, in der jede Sympathieäußerung zu kurdischen Organisationen als terroristisch ausgelegt zu werden pflegt – seiner eigenen Einschätzung nach hätte er «mit 30 Jahren Haft rechnen müssen», hätte er nicht dem Grund seiner Ausweisung verheimlichen können –; drohe ihm nach Einschätzung des deutschen Gerichts nicht «mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Verfolgung».
Andreas Thamm: Terrorist, sagt Erdoğan. taz.de, 16.10.2019 / Und wieder droht die Abschiebung. taz.de, 19.4.2022
Diese Abschiebung vor fast drei Jahren, die drohende neuerliche Abschiebung und die jahrelange Trennung von der Familie verstoßen in doppelter Weise gegen Naturrecht und christliche Moral:
Die Familie, deren Schutz auch im Grundgesetz (Art. 6 (1)) und im EU-Recht («Das Dublin-Verfahren stellt die Familieneinheit an erste Stelle», wird sein Anwalt zitiert) begründet ist, wird über lange Zeit und im schlimmsten Fall dauerhaft getrennt, der Mann von seiner Ehefrau, der Vater von seinen kleinen Kindern. Und ein Mann, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen, droht in ein diktatorisch regiertes Land abgeschoben zu werden, in dem seine oppositionelle Haltung als Terrorismus gewertet würde.
Siehe auch: Das Ende der ehelichen Gemeinschaft

W.H.W

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Geburtsstationen schließen

Dienstag, 3. Mai 2022

Hebammen müssen haften – was aber ist mit Kliniken und Politikern?

Schwere Komplikationen bei einer Geburt – wir haben davon berichtet (• Wo ein Schade ist, bedarf es eines Schuldigen •): eine Hebamme in einem Geburtshaus zögert unangemessen lange, die schwangere Frau in eine Klinik verlegen zu lassen. Eigentlich ist das Zögern bedeutungslos: in der Klinik hat man sowieso noch keine Zeit für die Frau. Am Ende ist das Kind klinisch tot, wird reanimiert, ist dann auf Lebenszeit schwerstbehindert; zwar ist es wenig wahrscheinlich, daß die Hebamme das hätte verhüten können, wahrscheinlicher, aber ebenfalls nicht sicher, daß die Klinik das hätte verhüten können, nichtsdestoweniger aber ist es die Hebamme, die dafür haften muß, oft mit einem maßlos hohen Betrag.
In den letzten dreißig Jahren sind etwa 45% der Geburtsstationen bundesdeutscher Kliniken geschlossen worden. Die Folge: schwangere Frauen haben oft sehr weite Wege zu einer Geburtsstation zurückzulegen (wehe der Frau, der niemand zu Verfügung steht, der sie fährt!); es mehren sich die Fälle – freilich gibt es hierfür keine Statistik –, in denen die Frau den Weg nicht mehr schafft, unterwegs schon entbinden muß. Zugleich sind die verbleibenden Geburtsstationen dadurch oft überlastet. Ein Zeitungsartikel (Stella Kennedy: Wenn die Geburtsklinik schließt. taz.de, 3.5.2022) schildert, wie eine Frau nach einer Anfahrt von drei Viertelstunden (die Verkehrsbedingungen sind gerade günstig) allen Wehen zum Trotz wieder nach Hause geschickt wird und am nächsten Tag den gleichen Weg noch einmal auf sich nehmen muß. Wieder in der Klinik angekommen, muß sie ohne fachliche Betreuung warten, bis die Preßwehen eintreten.
Solch eine Situation bringt viel mehr Gefahren mit sich als das Zögern jener Hebamme in der oben angesprochenen äußerst schwierigen Situation. Welche Schäden durch solche Situationen (also durch weit entfernte Geburtskliniken, durch überbelegte Geburtsstationen, durch überlastete Hebammen, Ärzte und Pflegekräfte) bereits eingetreten sind, ist offensichtlich nicht erfaßt worden, welche noch eintreten werden, ist unvorhersehbar. Müssen folglich die Träger der Kliniken, deren Geburtsstationen geschlossen wurden, für solche Schäden haften?
Allerdings: jenes oben erwähnte Kind wäre in einer solchen Situation nicht reanimiert worden, in diesem besonderen Fall also hätte niemand zu haften brauchen. Doch natürlich sind auch in solchen Situationen schwere Schäden für Mutter und Kind möglich, so daß nichtsdestoweniger die Frage bleibt, wer dann haften muß.
Allerdings: die Klinikträger haben durchaus nicht immer aus Willkür Geburtsstationen geschlossen; oft hat sie der Kostendruck dazu gezwungen. Für diesen Kostendruck nun ist die Politik verantwortlich, besonders durch das System der „diagnosebezogenen Fallpauschalen“, das 2003 durch Gesetz eingefordert wurde. Müssen also künftig für Schäden, die Mütter oder Kinder durch die Folgen solcher Schließungen erleiden, die verantwortlichen Politiker haften?
Siehe auch:
Hebammen in Bedrängnis
Freiberuflicher Arbeit wird ein Ende gesetzt

W.H.W

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„Tankrabatt“ – „Klimageld“ – Übergewinnsteuer

Freitag, 8. Juli 2022

Stets auf dem Weg zu schlechten Lösungen

Schon längere Zeit ist von einem „Tankrabatt“ die Rede; im Juni tritt er in Kraft. Gemeint ist eine Senkung der Treibstoffsteuer auf das EU-rechtlich mögliche Minimum.
Eine Maßnahme, die, soweit sie bei den Verbrauchern ankommt, dem SUV-Fahrer mehr Ersparnis bringt als dem Kleinwagenfahrer, der sein Auto für den Weg zur Arbeit braucht – also eine von vornherein fehlgeleitete Maßnahme.
Im Mai schlägt der Bundessozialminister die Einführung eines „Bürgergeldes“ und eines „sozialen Klimageldes“ vor. Eigentümliche Bezeichnungen, aber in der Sache dennoch sinnvoll: gemeint ist mit „Bürgergeld“ eine Erhöhung der Grundsicherung um etwa 40 bis 50 € im Monat, mit „sozialem Klimageld“ eine Sonderzahlung für Geringverdiener angesichts der Preissteigerungen.
Darauf der Bundesfinanzminister: er sei auf die Finanzierungsideen gespannt.
Derselbe Bundesfinanzminister hat beim (fehlgeleiteten) „Tankrabatt“ nicht nur diese Frage nicht gestellt, sondern ihn selber forciert. Zudem erklärt er, näher liege eine Reform der Lohn- und Einkommensteuer, wiederum ohne hierbei diese Frage zu stellen. Auch zum „Bürgergeld“ kommt, nun vom Fraktionschef seiner Partei, die Forderung nach Entlastungen bei der Einkommenssteuer an deren Statt (dpa) – abwegig, denn die, für die besonders dieses „Bürgergeld“ gedacht ist, hätten nichts davon: sie zahlen keine Einkommenssteuer.
Auch soweit der „Tankrabatt“ bei den Verbrauchern angekommen ist, ist er eine von vornherein fehlgeleitete Maßnahme, so wurde oben schon gesagt. Soweit er ... – doch das ist er kaum: die Steuererleichterung blieb weitgehend bei den Mineralölkonzernen hängen. Von der Bremer Landesregierung wurde daher vorgeschlagen, und die Landesregierungen von Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen haben sich dem angeschlossen, eine Übergewinnsteuer zu erheben, eine Sondersteuer auf hohe Zusatzgewinne von Unternehmen infolge des Krieges in der Ukraine, was nicht zuletzt die Mineralölkonzerne träfe. Diese Steuer hätte (zumindest zum Teil) eine Antwort auf die Frage des Bundesfinanzministers nach Finanzierungsideen für „Bürgergeld“ und „Klimageld“ geben können; doch sie scheiterte am Einspruch ebendieses Bundesfinanzministers und seiner Partei.

W.H.W

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Political Correctness

Dienstag, 5. Juli 2022

Muß Martin Luther King zensiert werden?

Martin Luther Kings Rede «I Have a Dream – Ich habe einen Traum» gilt als Markstein in der Bewegung der schwarzen Amerikaner gegen ihre Unterdrückung in den USA – ein guter Grund, diese Rede auch in deutschen Schulen zu lesen. So geschah es im Februar an einer hessischen Schule – und das führte zu einem Konflikt, der bundesweit für Aufruhr sorgte.
In dieser Rede kommt mehrere Male das Wort „negro“ vor, das in der deutschen Übersetzung, die verwendet wurde, korrekt mit „Neger“ übersetzt wurde. Die Schülerin, die diesen Text vorlas, übersprang dieses Wort; darauf forderte die Lehrerin sie auf, den Text vollständig vorzulesen. Doch als die Schülerin sich weigerte, bestand die Lehrerin nicht darauf, sondern ließ statt dessen einen anderen Schüler vorlesen.
Die Schülerin aber, auf die die Lehrerin solche Rücksicht genommen hatte, begnügte sich nicht damit, sondern machte zunehmend Aufhebens davon, bis sich die Sache zu einem großen Skandal auswuchs. Die Schülerin zog andere Schüler hinzu, sie fordern von der Schule eine Entschuldigung dafür, daß Martin Luther Kings Rede unzensiert gelesen wurde, eine der Schülerinnen stellt Teile eines internen Gesprächs mit der Lehrerin ins Netz. Schließlich legt ein Außenstehender, ein „prominenter“ Erziehungswissenschaftler, Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Schulleiter ein.
Der Grund: die Political Correctness lehrt, das Wort „Neger“ – und ebenso das englische Wort „negro“ – sei rassistisch.
Doch rassistisch ist nicht das Wort „Neger“. Rassistisch sind die Meinungen über Schwarzafrikaner, ist die Haltung ihnen gegenüber, die in Deutschland (und viel stärker noch in den USA) verbreitet war und zum Teil noch ist. Doch dieser Rassismus hing und hängt nicht am Wort „Neger“. Der unsägliche Satz, den in der Zauberflöte (II.7.) der Aufklärungsenthusiast und Freimaurer Schikaneder dem Monostatos in den Mund legt und der somit seit mehr als zwei Jahrhunderten auf den Opernbühnen allgegenwärtig ist, heißt nicht etwa: «weil ein Neger», sondern: «weil ein Schwarzer häßlich ist». Und im Kinderspiel («Wer hat Angst vorm ...?») geschmäht wird der schwarze Mann.
Andererseits: der erste Schwarzafrikaner, den ich im Leben gesehen habe, war ein Priester, also eine Respektsperson; und, ohne Abstriche zu machen an diesem Respekt, haben wir ihn damals als Neger bezeichnet. Die unbefangene Art, wie Martin Luther King das englische Wort benutzt, zeigt, daß für dieses das gleiche gilt.
Hier soll nicht einer Reaktivierung des Wortes „Neger“ das Wort geredet werden. Es ist schlicht außer Gebrauch gekommen, zudem aber mißt die Benennung eines Menschen mit diesem Substantivs – Substantive dienen ja eigentlich dazu, etwas Substantielles zu bezeichnen – einem so nachrangigem Aspekt wie der Rasse unnötige Bedeutung bei. Aber es muß möglich bleiben, unschuldige alte Texte zu lesen, auch neu aufzulegen. Und, jenseits der Frage des Wortes „Neger“, muß es auf akademischem und auch gymnasialem Niveau auch möglich bleiben, sich mit wirklich rassistischen Texten auseinanderzusetzen.
Rassismus kann nicht dadurch vermindert werden, daß man ein Wort zum Sündenbock macht und es vermeidet, sondern nur dadurch, daß man Menschen schwarzafrikanischer Abkunft Achtung entgegenbringt und diese solche Achtung selber für sich beanspruchen, ohne ihre Rasse auszublenden, als sei sie etwas Peinliches.
In diesem Sinne handelten Aimé Césaire und Léopold Sédar Senghor, indem sie die «Négritude» priesen* – eine «Négritude» freilich, die über die Rasse hinausgeht, die Kultur einbezieht («Ma Négritude point n’est sommeil de la race mais soleil de l’âme, ma négritude vue et vie»). Das völlige Verschweigen des Wortes „Neger“ würde nicht nur bedeuten, daß Martin Luther Kings bedeutende Rede nicht mehr in originalgetreuer Übersetzung gelesen werden könnte, sondern auch, daß Gedichte wie dieses, Gedichte der bedeutendsten schwarzafrikanischen Dichter in europäischer Sprache, weder mehr zitiert werden könnten noch zu verstehen wären.
Gelegentlich wird argumentiert, die Wörter „Neger“ oder „negro“ seien zu Zeiten Martin Luther Kings noch nicht rassistisch konnotiert gewesen, seien es aber seither geworden, die Sprache verändere sich. Nun verändert sich die Bedeutung von Worten, verändern sich erst recht ihre Konnotationen wirklich, aber innerhalb eines Menschenalters höchstens innerhalb sozialer Gruppen, nicht insgesamt. Und der Rassismus hat seither nicht so zugenommen, daß dadurch neutralen Wörtern rassistische Konnotationen zugewachsen wären. Eher wurde Menschen dieser Rasse von Kommissaren der Political Correctness eingeredet, dieses Wort diskriminiere sie – wodurch unter der Hand der Eindruck vermittelt wird, ihre Rasse sei etwas, dessen man sich schämen könne. Doch kein Mensch hat Grund, sich seiner Rasse zu schämen, auch nicht, wenn sie mit einem veralteten Wort bezeichnet wird.
Siehe auch:
Rassismus und Ultra-Rassismus

W.H.W

*Siehe: Thomas Baumann: Moderne Irrtümer und ihre Herkunft. Augsburg 2011.

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„Überbevölkerung“

Donnerstag, 17., und Mittwoch, 23. November 2022

Acht Milliarden Menschen

sind es nun auf der Erde. „Überbevölkerung“ pflegte man schon früher, bei noch geringeren Zahlen, zu sagen; und viele machten der Kirche daraus den Vorwurf, sie trage mit dem Verbot von Empfängnisverhütungsmitteln Schuld daran.
Und nun darf im traditionell antiklerikalen „Spiegel“ eine Journalistin, Samira El Ouassil, klarstellen, daß dieser «hartnäckige Mythos einer Überbevölkerung» «menschenfeindlich ist», «widerlegt ist», seine Implikationen nennt sie «rassistisch und armenfeindlich».
Manches in dem Artikel klingt nicht recht nach katholischer Morallehre; aber so ist es um so überzeugender, wie er jenen Vorwurf abräumt.
Wenige Tage später: «Umweltverbände decken auf: Anbauflächen für Agrokraftstoffe könnten Kalorienbedarf von bis zu 35 Millionen Menschen decken» – Anbauflächen nämlich, «die heute der Produktion von Agrokraftstoff für den deutschen Markt dienen.»
Mit anderen Worten: die Agrarfläche, die für die deutsche Bevölkerung genutzt wird, könnte mehr als 40% mehr Menschen ernähren, wenn man auf den Anbau von Pflanzen für die Kraftstoffherstellung verzichtete, andere Kraftstoffe nutzte (das könnten etwa „Agrokraftstoffe“ aus agrarischen Abfällen oder Lebensmittelabfällen sein) oder das Autofahren einschränkte. Und nicht nur für den deutschen Autoverkehr werden solche Pflanzen angebaut.
Die Erde ist also so wenig überbevölkert, daß riesige Anbauflächen zweckentfremdet werden können.
Auf der anderen Seite gibt es freilich auch Hunger; doch der ist nicht überwiegend durch Mangel an Nahrungsmitteln begründet – Anbauflächen bleiben ungenutzt aufgrund von Bürgerkriegen und Terrorismus, vorhandene Nahrungsmittel sind bei der Lagerung unzureichend geschützt, können nicht dahin transportiert werden, wo sie gebraucht werden.
Am Anfang der „Agrokraftstoffe“ stand ein guter Gedanke: aus agrarischen Abfällen oder Lebensmittelabfällen kann man Kraftstoff erzeugen, der Kraftstoff aus Erdöl ersetzt, wirtschaftlich nützlich und umweltfreundlich. So kam es 2006 zum „Biokraftstoffquotengesetz“, das die Beimischung solcher Biokraftstoffe zum Kraftstoff aus Erdöl anordnet.
Nur: man hatte die Herstellung dieser Biokraftstoffe im Gesetz nicht ausreichend geregelt; und so nahm sich der freie Markt dessen an. Und so wurde aus dem, was so vielversprechend begonnen hatte, Unheil: es wurden zu ihrer Produktion weniger Abfälle genutzt als vielmehr riesige Flächen freigemacht für den Anbau von Pflanzen, die nur der Produktion solcher Kraftstoffe dienen, vor allem in Ländern der „Dritten Welt“, zum Schaden der Lebensmittelerzeugung und der Waldflächen.

W.H.W

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