Die neuen Leiden
der deutschen Sprache

Tamquam scopulum, sic fugias inauditum atque insolens verbum.
C. Julius Caesar: De analogia libri II
ad M. Tullium Ciceronem;
nach: A. Gellius: Noctes Atticae, I, 10
«Die neuen Leiden der deutschen Sprache» – es ist schwer, für dieses Thema einen Titel zu finden, der nicht Hans Weigels „Leiden der jungen Wörter“1 nachahmt. Ich habe eine Formulierung gewählt, die davon so weit entfernt ist, daß sie kein allzu klares Plagiat mehr darstellt – und sich darum auch nicht an dem Esprit jenes Titels messen zu lassen braucht.
1 Hans Weigel: Die Leiden der jungen Wörter / Ein Antiwörterbuch. Zürich 1974


Mißbrauchte und mißgebildete Fremdwörter

Auf die Frage «.. um die Regierung auszuüben. Was würde der Meister zuerst in Angriff nehmen?» antwortete Konfuzius (K‘ung [fu] tzï): «Sicherlich die Richtigstellung der Begriffe», denn «wenn die Begriffe nicht richtig sind, so stimmen die Worte nicht; stimmen die Worte nicht, so kommen die Werke nicht zustande; ...» (Lun Yü, XIII, 3, nach der Übersetzung von Richard Wilhelm).
In unserer heutiger Welt ist dies eine Herkulesarbeit: unsere Sprache ist voll von sprachlich falsch gebildeten und von falsch verstandenen Begriffen, die zum Teil das, was sie bezeichnen, verzerren, indem sie es sprachlich entstellen, zum Teil aber auch die Gedankenlosigkeit bloßstellen, die ihrer Verwendung zugrunde liegt.
Ableistisch: Liest man dieses Wort, so fragt man sich: kommt es vom deutschen „ableisten“? oder von einer Frau oder einem Herrn Ablé? Nein, es ist vom englischen „able“ abgeleitet. Es ist falsches Englisch: erhält im Englischen ein Wort, das auf stummes „e“ endet, eine Endung, die mit einem Vokal beginnt, so schwindet (von drei besonderen Fällen – to dye, to shoe, to singe – abgesehen) dieses „e“; so heißt das Gerundium von „to enable“ „enabling“, nicht etwa „*enableing“. Also könnte das Wort im Englischen höchstens „ablistic“ heißen.
Das englische „able“ aber kommt vom lateinischen „habilis“. Erhält solch ein Wort das griechisch-lateinische Suffix „-istic(us)“ (oder „-ismus“), so sollte auf die lateinischen Grundform zurückgegriffen werden; es hätte also im Deutschen „habilistisch“ zu heißen.
Damit ist freilich die Frage nicht beantwortet, wozu es dieses Wortes eigentlich bedarf.
Anthropozän: Das griechische „kainós“, latinisiert zu „caenus“, eingedeutscht zu „kän“ oder „zän“, bedeutet „neu“. Das Känozoikum ist die Zeit, in der die erdneuzeitliche Tierwelt sich ausbreitete. Das Paläozän ist die ganz alte (palaiá) Zeit dieser Tierwelt, das Eozän ihre Morgenröte (eós [episch]), das Oligozän die Zeit, in der erst wenige (olígoi) neuzeitliche Tiere da waren, und so weiter bist zum jetzigen Holozän, in dem die ganze (hóle) neue Tierwelt vorhanden ist. Demnach ist das Anthropozän die Zeit, in der der Mensch neu war – also etwa die frühe Eiszeit – oder die Zeit, in der die (biologisch) neue Art des Menschen erschien – also das Jungpaläolithikum.
Elite: Dieses Wort kommt von „élire“, der französischen Entsprechung des lateinischen „eligere – auswählen“. Eine Elite ist darum eine auserwählte Schar, nicht eine Menge der Leute, die eigenmächtig zu Einfluß gekommen sind; etwas wie eine „Finanzelite“ gibt es daher nicht.
Ethnie: Ein griechisches Wort für „Volk“ ist „éthnos“; eine „Ethnie“ aber gibt es nicht.
Fakt: Man kann einfach „Tatsache“ sagen; aber das Wort „Faktum“ oder „Fakt“ gibt es dafür auch. Doch es ist Neutrum: das „Fakt“ oder „Faktum“.
Femizid: Als „Feminizid“ wird ein Verbrechen bezeichnet, das überall auf der Welt verübt wird, in vielen Ländern sich außerordentlich verbreitet hat und sehr oft ungeahndet bleibt. Daneben aber ist oft von „Femizid“ zu lesen. Nun gibt es zwar das Wort „femina“, nicht aber „*fema“, also auch kein „Femizid“.
N.B.: Die lateinische Form ist „feminicidium“, also: das Feminizid.
Gender: „Gender“ ist die englische Form für das im Deutschen geläufige Wort „Genus“, es geht auf eine Nebenform des französischen „genre“ zurück, das vom lateinischen „genus“ stammt. Schon 1983 hat Ivan Illich, das Enfant terrible der katholischen Alltagsphilosophie, das Wort „Genus“ durch ein Buch dieses Titels in den deutschen Sprachgebrauch jenseits der grammatischen Terminologie eingeführt, um auszudrücken, daß Geschlecht mehr ist als nur „sexus“. Eines Neuaufgusses dieses Wortes bedarf es also im Deutschen nicht mehr. (E&E 11 (2006), S. 23)
„Geschlechtergerechte“ oder „geschlechtsinklusive“ Sprache
Holokaust: „Holocaustum“ ist ein griechisches Wort, das nur im Lateinischen gebräuchlich ist, das dort im griechischen Bibeltext als Übersetzung von „holokaútoma“ und damit letztlich vom hebräischen „‘ola“ (und „kalil“) erscheint. Ein solches Holocaustum ist ein Gott dargebrachtes Opfer; wir beten doch im Psalm (50 [51], 20 f.): „Benigne fac Domine in bona voluntate Sion, ut aedificentur muri Jerusalem. Tunc acceptabis sacrificium iustitiae, oblationes et holocausta“. Wie darf man dieses Wort mißbrauchen für solch ein Verbrechen, wie es die Scho’a ist? (E&E 13 (2008) S. 15)
Homophobie: „phébein“ heißt „fliehen, meiden“; davon abgeleitet ist „phóbos“, das daher „Flucht“ heißt und auch „Furcht“. Darum wurden Störungen, bei denen jemand etwas Bestimmtes fürchtet, so daß er das meidet und davor flieht, „Phobien“ genannt. „Homós“ heißt: „gleich“; „Homophobie“ ist demnach eine Störung, die dazu führt, daß man fürchtet und meidet, was einem gleich ist – wenn etwa ein Mensch andere Menschen, ein Mann andere Männer, eine Frau andere Frauen fürchtete, miede und flöhe, könnte man von „Homophobie“ sprechen.
Investor: „Investire“ heißt „bekleiden“, dann auch „mit einem Amt (ursprünglich: dem Amtsgewand) bekleiden“. In diesem Sinne spricht man von „Investitur“.
Auf nicht ganz klare Weise bekam das Wort auch die Bedeutung: „Geld geben für die Entwicklung eines wirtschaftlichen Projekts und dadurch Teilhaber werden“; hier spricht man von „Investitionen“. Wer solches tut, könnte „Investitor“ genannt werden – aber nicht „Investor“: dieses Wort ist sprachlich unmöglich.
Und wer einfach etwas aufkauft, investiert nicht, sondern ist eben nur ein Aufkäufer; und die, die etwas nur aufkaufen und auspressen, werden sinnigerweise nicht „Investoren“ genannt, sondern „Heuschrecken“.
Osteopath: „Ostéon“ heißt „Knochen“, „patheîn“ (aor.) „leiden“. Ein „Osteopath“ ist also, jemand, der an den Knochen leidet.
Systemisch: Das griechische „sýstema“ ist ein Stamm auf „t“, die Form ohne „t“ erscheint nur im Nominativ und Akkusativ Singular; für Ableitungen kann sie nicht verwendet werden. Dem Wort „systematisch“ ein Wort „systemisch“ gegenüberzustellen ist sprachlich nicht möglich.
Ausnahmsweise finden sich auch Mißgebilde aus älterer Zeit:
Anormal: Das Gegenteil von „normal“ ist „abnorm“. Außerdem wurde das griechische Wort „anómalos“, das „ungleich, vom Üblichen abweichend“ bedeutet, ins Deutsche übernommen: „anomal“. In der Folge wurde es mit „normal“ zum Mißgebilde „anormal“ kontaminiert.
Autoritär will eine Ableitung von „Autorität“ sein. Doch das letzte „t“ in diesem Wort gehört zum Stamm, kann in solch einer Bildung nicht ausfallen. Und etwa ein „*auctoritus“, von dem her diese Bildung möglich wäre, gibt es nicht, ebensowenig ein „*auctorire“, von dem man „*auctoritus“ ableiten könnte.
Also: „Autoritär“ gibt es nicht. Aber wenn es das gäbe: was bedeutete es dann?
„Auctoritas“ heißt vor allem: Glaubwürdigkeit, Ansehen. Reine Machtbefugnis ist dagegen „potestas“. „Autoritär“ herrschte, wenn es dieses Wort gäbe, jemand, der durch sein Ansehen und nicht durch – rechtliche oder andere – Machtmittel herrscht.
Einige sprachlich und sachlich richtige Fremdwörter werden gerne falsch gebraucht:
Analog sind Dinge, die einander entsprechen, ohne von ihrem Ursprung her gleich zu sein. Eine Uhr, deren Zeiger sich dem Lauf der Zeit entsprechen drehen, nennt man „analog“, eine Uhr, die die Zeit durch Ziffern anzeigt, „digital“, weil das lateinisch-englische Wort „digit“ auch für „Ziffer“ verwendet wird (das eigentliche englische Wort dafür ist „cipher“). Eine Begegnung aber von Angesicht zu Angesicht ist nicht analog, sondern real. Und der Gegensatz von „virtuell“ ist „reell“ (so stellt die Physik dem „virtuellen“ Bild das „reelle“ gegenüber).
Irritieren heißt „erzürnen“, das Wort ist synkopiert aus „in-iritare“. Mit „irren“ hat es nichts zu tun.
Nation: Dieses Wort kommt von „nasci – gebären“, bezeichnet die soziale Einheit, in die man durch seine Geburt gehört, womit der Sprachgebrauch jedoch, nicht ganz wortgetreu, nicht eine biologische Abstammungsgemeinschaft meint, sondern die Kulturgemeinschaft, in die man hineingeboren (gelegentlich aber auch adoptiert) ist. Demgemäß spricht man einerseits von „Nationalstaat“, andererseits von „Nationalitätenstaat“. „Volk“ dagegen (anfangs meinte das wohl das militärische Aufgebot) bezeichnet die Schar der Bürger eines Staates; insofern läßt sich „Demokratie“ als „Volksherrschaft“ übersetzen, insofern kann ein Volk mehrere Nationen umfassen (wie etwa in der Schweiz).
Doch schon im XX. Jahrhundert wurden die Begriffe „Nation“ und „Volk“ selbst in der Wissenschaft immer wieder verwechselt.
Nomen: In der Grammatik ist „Nomen“ der Überbegriff für deklinierbare Wörter, also für Substantive, Adjektive, Numeralia (die freilich nur zum Teil deklinabel sind) und Pronomina. Es ist nicht die Übersetzung des englischen „noun“, das im besonderen Substantive bezeichnet.
Positiv bedeutet „bestätigend“, negativ „verneinend“. Diese Wörter sind keine Synonyme von „gut“ oder „schlecht“, „ungünstig“ und „ungünstig“. Ein negativer medizinischer Befund etwa ist meistens günstig, ein positiver ungünstig.
W.H.W.

Orietur Occidens


Deutsche Sprache und Anglizismen

„Speak German“1 – Wolf Schneider hat diesem Problem ein ganzes Buch gewidmet. Nur: sind Anglizismen ein Problem für die deutsche Sprache?
Zunächst: Anglizismen sind in der Regel Fremdwörter. Allerdings nicht nur: Barbara Bauer, die langjährige Leiterin der deutschen Redaktion von Le Monde diplomatique, beklagt2, daß «es leider sehr viel schlechtes Deutsch gibt. Manche auf Deutsch geschriebene Texten klingen ja wie verunglückte Übersetzungen aus dem Englischen.» Und anglisierende Ausdrücke wie „Sinn machen“ tauchen mit grotesker Häufigkeit auf.
Aber hier soll es um Fremdwörter gehen.
Hans Weigel ereiferte sich in seinem „Antiwörterbuch“ über blindwütige Vermeidung von Fremdwörtern; auf den Ausdruck „fernmündlich“ antwortete er: „Halten Sie Ihren Fernmund!“ Und Ausdrücke der Behördensprache vergangener Jahrzehnte wie „Kraftdroschke“ statt „Taxi“ dienen eher der Belustigung als der Verständigung.
Aber es gibt – massenweise – unnütze Fremdwörter. Es gibt sie aus dem Lateinischen, so etwa „extra“ für „eigens“ oder für „absichtlich“ (übrigens bedeutet das lateinische Wort etwas anderes); es gibt sie aus dem Französischen, so etwa „partout“ für „unbedingt“ (übrigens bedeutet auch das französische Wort etwas anderes).
Und es gibt brauchbare und nützliche englische Fremdwörter. „Fit“ hat seinen eigenen Platz in der deutschen Umgangssprache gefunden, wird kaum noch als Fremdwort empfunden (nur die Orthographie, das einfache „t“ in der endungslosen Form, zeigt, daß es von Hause aus nicht deutsch ist). Für Wörter wie „Smoking“ und „Cut“ (das Kleidungsstück [im Deutschen „Kött“ ausgesprochen]; für „Katt“ anstelle von „Schnitt“ ist das keine Entschuldigung) gibt es keine anderen gebräuchlichen deutsches Wörter. „Tram“ ist zu einem international gebräuchlichen Wort („tramway“, „tranvía“) geworden; so kommt ihm auch im Deutschen sein Platz zu, auch wenn man stattdessen „Straßenbahn“ sagen kann.
Es gibt Ausdrücke für aktuelle soziologische und politische Phänomene wie „Mainstream“ oder „Lobby“, für die es kein anderes Wort im Deutschen gibt. Und ein „Boom“ ist nicht ganz das gleiche wie eine „Hausse“, „Rush hour“ sagt mehr als „Stoßzeit“, „Budget“ ist eindeutiger als „État“. Und bei Wörtern wie etwa „Fast food“ stört nicht das Wort, sondern die Sache.
Aber es gibt eben auch – und zwar massenweise – unnütze englische Fremdwörter, von „OK“/„okay“ bis zu „no go“. Die Sinnlosigkeit solcher Wortimporte wird zwar nicht übertroffen – und, bitte! erst recht nicht „getoppt“ –, aber doch erreicht von „handlen“ [„händeln“ ausgesprochen], für das die deutsche Entsprechung „handhaben“ auf der Hand liegt.
„Händlen“ bedeutet laut Grimms Wörterbuch: „Händel [Streitsache, Streit] besprechen“, in alten Texten wohl auch schlicht „streiten“.
Besonders absurd ist es, wenn ein international gebräuchliches Wort plötzlich durch ein englisches Fremdwort ersetzt wird.
Ein alter Witz: Auf dem Bahnhof fragt ein Mann einen Bahnbeamten: «Wo gibt es hier Billetts?» Die Antwort: «Hier gibt es keine Billetts, sondern Fahrkarten.» Der Mann fragt weiter: Und wo gibt es hier Fahrkarten?» Die Antwort: «Am Billettschalter.»
Im Deutschen wurde das Wort „Billett“ durch „Fahrkarte“ oder „Fahrschein“ ersetzt, doch in den meisten Sprachen blieb es erhalten: „billet“ heißt es im Französischen und Dänischen, „billete“ im Spanischen, „biglietto“ im Italienischen, „bilhete“ im Portugiesischen, „billett“ im Norwegischen, „biljett“ im Schwedischen, „bilet“ im Polnischen, Rumänischen und Türkischen, „вилет“ im Russischen und Bulgarischen, „belît“ im Persischen. Nur wenige Sprachen klinken sich aus mit eigenen Bezeichnungen, so das Englische mit „ticket“. Und das Deutsche ist, nachdem es erst die internationale Bezeichnung durch eigene Bildungen ersetzt hat, nun dabei, ebendiese durch die englische Bezeichnung zu ersetzen.
Die Liste wurde erstellt mit Hilfe von PONS Online-Wörterbuch.
Überhaupt werden zur Zeit eingebürgerte französische Wörter sinnlos durch englische ersetzt: statt „Niveau“ ist plötzlich „Level“ zu hören, statt „Etikett“ „Label“, statt „vis à vis“ „face to face“, statt „Rendezvous“ „Date“, statt „Remise“ „Carport“.
Eine eher belustigende Geschichte: Im XVI. Jahrhundert sprach man vom „Gentiluomo“, im XVII. Jahrhundert übernahmen ihn die Franzosen als „Gentilhomme“, und schließlich machten ihn die Engländer zum „Gentleman“. Warum nur hat das Deutsche gerade die englische Form übernommen?
Sodann bietet das Englische etliche Probleme: es hat sehr geringe Möglichkeiten zur Wortbildung, so daß der Wortschatz angewiesen ist auf Fremdwörter aus anderen Sprachen, vor allem dem Lateinischen und dem Französischen sowie dem Griechischen und dem Italienischen („maneggiare“ > „to manage“). Zudem ist die Phonetik schwierig, ist die Aussprache weit entfernt von der Schreibweise. Eine Orthographiereform würde die Sache nur verschlimmern, denn die Schreibweise ist es, die Fremdwörter im Englischen mit den international bekannten Wörtern verbindet, von denen sie abgeleitet sind, während die Aussprache deren Herkunft verdunkelt.
Darum ist im Deutschen kaum etwas Sinnloseres denkbar als Wörter aus anderen, uns vertrauten Sprachen englisch auszusprechen.
Doch ebendas wird exzessiv gemacht. Bei einem Vortrag des großen Psychoanalytikers Stavros Mentzos habe ich einst eigens notiert, daß er ein französisches Wort französisch aussprach: „Compliance“, einen medizinischen und therapeutischen Fachbegriff – meistens höre ich dieses Wort englisch verballhornt zu „Komplaiens“.
Ausnahmsweise gibt es aber auch den entgegengesetzten Unfug: „Budget“ wird im Deutschen französisch ausgesprochen.
Von „Social Media“ ist zu hören und zu lesen: zwei lateinische Wörter, englisch umgeformt und ausgesprochen – warum nicht „soziale Medien“?
«Das Science Media Center Germany (SMC) ist eine unabhängige und gemeinwohlorientierte Wissenschaftsredaktion», so ist zu lesen. „Science“, „Media“, „Center“, „Germany“: außer des in der sprachlichen Gestalt rein lateinischen „Media“ alles anglisierte lateinische Wörter. Die SMC ist in Deutschland angesiedelt ist und zeigt im Impressum nur deutsche Namen – welchen Sinn könnte da die Anglisierung haben?
Von einer „syrischen“, einer „marokkanischen Community“ in Deutschland ist zu lesen, selbst in offiziösen Quellen wie etwa dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Nun sind weder Syrien noch Marokko anglophone Länder. Spricht man von Bevölkerungsgruppen in Deutschland, die aus diesen Ländern stammen, so gibt es keinen Grund, das lateinische Wort „communitas“ zu anglisieren. Man könnte natürlich auch einfach von der „syrischen“, der „marokkanischen Gemeinschaft“ in Deutschland sprechen; allerdings fiele dann auf, daß die Bevölkerungsgruppen in Deutschland aus diesen Ländern gar keine Gemeinschaften bilden – und ebensowenig eine „Community“.
Den Tiefpunkt aber bietet die Deutsche Bahn: Auf eine „Lounge“ wird in Bahnhöfen hingewiesen. Doch da findet man Räume, in denen man zwar sich setzen, sich aber nicht „lang machen“ kann – aber ebendas bedeutet „lounge“.
Auf Klappen, die in den Waggons Müllbehälter versperren, steht „push“. „To push“ ist die englische Verballhornung des französischen „pousser“, das sich vom lateinischen „pulsare“ herleitet. Warum also steht da – Deutsche Bahn! – nicht „drücken“ und vielleicht auch, um ausländischen Fahrgästen entgegenzukommen – die internationale Bahnsprache ist Französisch – „poussez“?
Aber auch diese Frage ist nicht die eigentliche, denn die wäre: Warum wird der Zugang zu Abfallbehältern durch schwerbewegliche Klappen versperrt?
1 Wolf Schneider: Speak German. Hamburg 2008
2Ziemlich cool und sehr international. taz vom 2.5.2020
W.H.W

Orietur Occidens


„Geschlechtergerechte“ oder „geschlechtsinklusive“ Sprache

„Generisches Maskulinum“ – gibt es das?

Früher waren Bürger- oder Handwerksmeister und sogar -gesellen immer nur Männer. Heute können es dankenswerterweise auch Frauen sein. Dennoch ist auch weiterhin von Bürgermeistern und Handwerksgesellen die Rede, als seien das immer noch nur Männer. Als Grund wird angegeben: dies sind generische Maskulina, das heißt: hier bezeichnet das Maskulinum beide Geschlechter.
Doch dagegen hat sich seit Jahren Protest erhoben, von feministischer und politisch korrekter Seite: ein solches „generisches Maskulinum“ sei eine Fiktion, um das Vorherrschen männlicher Formen zu stützen. Und es haben sich verschiedenste Schreibweisen ausgebreitet, die versuchen, die Geschlechter zu verbinden: Da ist von „BürgermeisterInnen“, „Bürgermeister_innen“, „Bürgermeister*innen“ und „Bürgermeister:innen“ die Rede; im Spanischen und Portugiesischen benutzt man den Klammeraffen: „l@s / @s ...@s“.
Dadurch stellen sich zwei – ganz unterschiedliche – Fragen:
1. Sind solche Ausdrucksweisen sprachlich annehmbar?
2. Bedarf es „geschlechtsinklusiver“ Ausdrücke, oder reicht das „generische Maskulinum“ aus?

Sind solche Ausdrucksweisen sprachlich annehmbar?

Nein. Schrift dient dazu, Sprache wiederzugeben; diese Ausdrücke aber sind unaussprechlich. Und wenn gelegentlich versucht wird, sie auszusprechen, indem vor dem „-innen“ ein Hamz eingefügt wird, so werden damit die Regeln der deutschen Sprache gesprengt – diesen Laut kennt das Deutsche nur am Anfang von Wörtern oder Stammsilben; so entsteht statt der Endung „-innen“ ein eigener Wortstamm „innen“ (den es im Deutschen ja wirklich, als Adverb, gibt). Und schon wo ein Umlaut auftaucht („BäuerInnen / Bäuer_innen / Bäuer*innen / Bäuer:innen“), scheitert das Projekt.
Letztlich sind solche Ausdrücke nur Ausdruck der Trägheit – sie ersparen die geringe Mühe, „Bürgermeisterinnen und Bürgermeister“ zu sagen. „Geschlechtergerechte“ oder „geschlechtsinklusive“ Sprache ist also keine Entschuldigung für solche Ungebilde.
Der spanische und portugiesische Klammeraffe erscheint einfallsreicher, ist aber ebenso unaussprechlich.
Ein Ungebilde ist ebenso das dafür oft benutzte Verbum „gendern“: einerseits ist es eine abwegige Wortbildung, andererseits ist das zugrundeliegende Substantiv „Gender“ schlechtes Deutsch (siehe oben: Mißbrauchte und mißgebildete Fremdwörter s.v. „Gender“).

Bedarf es „geschlechtsinklusiver“ Ausdrücke
oder reicht das „generische Maskulinum“ aus?

Grammatische Vorbemerkung: Beim „generischen Maskulinum“ geht es eigentlich nur um den Singular, denn im Plural kennt das Deutsche – anders als etwa die klassischen und die romanischen Sprachen, ebenso aber wie das Russische – kein grammatisches Geschlecht: die Pluralendungen sind für alle Genera die gleichen, Adjektivendungen, Artikel, Pronomina – sie alle unterscheiden sich im Plural nicht dem Genus nach. Die Endung „-innen“ markiert das natürliche weibliche Geschlecht, ist aber grammatisch nicht erforderlich für den Plural femininer Substantive; darum geht es bei der Frage des „generischen Maskulinums“ im Plural eigentlich nur darum, ob einem dem Genus nach merkmallosem Wort eine feminine Markierung beigegeben werden muß, um zu klären, daß Frauen eingeschlossen sind.
Was die Bedeutung der Sprache bestimmt, ist der lebendige Sprachgebrauch, das Sprachgefühl und Sprachverständnis der Sprecherinnen und Sprecher der Sprache. Darum gilt es, auf der Suche nach der etwaigen Gültigkeit des „generischen Maskulinums“ den lebendigen unbefangenen Sprachgebrauch zu beobachten, und zwar, da es Frauen gibt, die Anstoß daran nehmen, in einem „generischen Maskulinum“ eingeschlossen zu sein, besonders den von Frauen.
Da fällt zunächst auf, daß in vielen Bereichen der merkmallose Plural ganz unbefangen benutzt wird; es ist von „Bürgerbeteiligung“ die Rede, nicht etwa von „BürgerInnenbeteiligung / Bürger_innenbeteiligung / Bürger*innenbeteiligung / Bürger:innenbeteiligung“. Ebenso sprechen auch Frauen ganz selbstverständlich von ihrem „Führerschein“, wo nun ein eigentliches generisches Maskulinum vorliegt, sagen nicht etwa „FührerInnenschein / Führer_innenschein / Führer*innenschein / Führer:innenschein“.
Sodann habe ich gehört, wie Frauen oft den einfachen merkmallosen Plural benutzen, etwa „Kollegen“ sagen, selbst dann, wenn alle Kollegen Frauen sind. Auf der Tür einer nahegelegenen Apotheke steht in sorgfältig aufgetragenen Buchstaben:
Inhaber:
..... .....
Filialleiter:
....... ........
– beide Namen sind Frauennamen.
In der Autobiographie Tisas von der Schulenburg sind Sätze zu lesen wie «Die „WELT“ war bereit, mich als Korrespondenten zur Olympiade 1948 hinüber zu schicken» und «1948 hielt man mich für einen Kommunisten».
Ich hab’s gewagt / Bildhauerin und Ordensfrau – ein unkonventionelles Leben. Freiburg i. Br. 1981, Kap. ENTSCHEIDUNG, S. 205
Und nun habe ich als Beispiel einen Artikel gefunden von einer „AutorIn“ (unter dieser Rubrik steht ihr Name auf der Seite mit diesem Artikel im Netz), die für Feminismus eintritt; sie rezensiert ein Buches einer forensischen Psychiatrin über Gewalttaten von Frauen.
Eva Behrendt: Wenn Frauen zu Mörderinnen werden. taz vom 28. 11. 2020
Dort ist etwa zu lesen: «Man sieht also einem Profi bei der Berufsausübung über die Schulter ...» – gemeint ist die Autorin des Buches; „einem Profi“: ein generisches Maskulinum, noch dazu eines, daß sich leicht vermeiden ließe: „einer Professionellen“.
Weiter: «An welchem Punkt genau jemand eine Entscheidung trifft, die ihn straffällig werden lässt ...» – es geht nur um Frauen (einige Zeilen weiter heißt es: «Die meisten Täterinnen ...»); „ihn“: ein generisches Maskulinum, und wieder eines, daß sich vermeiden ließe: „jemand ... sie“ erschiene mir sprachlich annehmbar, und auf jeden Fall annehmbarer als die oben angeführten Ungebilde.
Das Ergebnis: Das generische Maskulinum ist im deutschen Sprachgebrauch und Sprachverständnis so verankert, daß es unbefangen auch von Frauen benutzt wird, ungeachtet feministischer Einstellungen.
Grundlegend besprochen hat das Thema vor einigen Jahren die Dichterin und Bloggerin Claudia Sperlich:
• Dichterin oder Dichter? Zum generischen Maskulinum. •
W.H.W.

Orietur Occidens